"Wissenschaft ist keine Sache von Mehrheitsentscheiden, sondern Argumenten" - Prof. Dr. Klaus-Jürgen Röhlig

Warum Prof. Dr. Klaus Röhlig einen interdisziplinären Austausch fordert, warum er in der Politik immer weniger Kompetenz in Endlagerfragen sieht und wie die Sicherheit eines Atommüll-Endlagers bewertet wird, darum geht es in diesem Beitrag.

Portrait Klaus Röhlig
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Prof. Dr. Klaus Röhlig

„Es gibt nicht DIE Wissenschaft, sondern unterschiedliche Disziplinen und Rollen“, stellt Prof. Dr. Klaus-Jürgen Röhlig vom Institut für Endlagerforschung der Technischen Universität Clausthal und Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Endlagerforschung fest. Es mache einen Unterschied, ob jemand die Standortentscheidung für die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) vorbereitet oder ein Gutachten für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) oder eine Bürger:inneninitiative erstellt. „Wenn jemand für die BGE forscht, erwarte ich, dass er ehrlich und objektiv vorgeht – so wie ich es von jedem Wissenschaftler erwarte. Aber wenn er seine Ergebnisse im Namen der BGE vertritt, ist er nicht mehr neutral. Deshalb braucht es immer Aufsichtsbehörden, die eigene Untersuchungen vornehmen. Es geht letztlich um Diskurs, darum, Ergebnisse kritisch zu hinterfragen.“ Bei den Fachkonferenzen sei das teilweise gelungen. „Das hat gleichzeitig das Problem aufgezeigt, dass niemand Experte von allem ist. Ich bin zum Beispiel nicht ohne weiteres in der Lage, einen Dissens in der Materialwissenschaft zu bewerten.“ Problematisch sei auch, dass von manchen die eigene Disziplin als am wichtigsten eingestuft werde. „Eine Systemsicht ist wichtig: interdisziplinärer Austausch, Diskussion und Weiterbildung.“

„Wissenschaft ist keine Sache von Mehrheitsentscheiden, sondern von Argumenten“, hebt Röhlig hervor. Die Fachkonferenz hat das erkannt und in ihrer Geschäftsordnung berücksichtigt. Es gehe um einen gut geführten, gleichberechtigten Diskurs. Laut Gesetz sollen alle drei Wirtsgesteine – Salz, Ton, Kristallin – betrachtet werden. Da sie unterschiedliche Eigenschaften haben, müssen Nachteile technisch und geotechnisch – also durch Maßnahmen verschiedener Ingenieursdisziplinen - kompensiert werden. „Welches Gestein das Beste ist, wird rein wissenschaftlich kaum zu beantworten sein, denke ich, da die Konzepte für die Einlagerung so unterschiedlich sind. Ich hoffe, dass durch die Einengung der Gebiete eine Entscheidung für den vom Standortauswahlgesetz geforderten bestmöglichen Standort anhand ganz konkreter Standorte mit unterschiedlichem Gestein am Ende möglich ist.“

Immer auf dem neuesten Stand

Neben klassischen Kontrollmechanismen wünscht Röhlig sich für das Endlagersuchverfahren in Deutschland ein spezielles Peer-Review-Verfahren, das im Bereich der nuklearen Entsorgung international etabliert ist. In der Vergangenheit wurden solche Verfahren z. B. in Frankreich, Schweden und der Schweiz durchgeführt: Ein interdisziplinäres Expertenteam analysiert die Ergebnisse, stellt Rückfragen an die Verfasser:innen und übt Kritik.

Der Anspruch an Wissenschaft sei, dass sie objektiv ist, die Wissenschaftler:innen ehrlich sind und stets ihre jeweilige Rolle kommunizieren. Es gelte, bereits den Anschein von Befangenheit oder Interessenkonflikten zu vermeiden. In der Standortsuche sei das Problem, dass es nicht genug Fachleute aus den unterschiedlichen Bereichen wie Materialwissenschaften, Bauingenieurswesen, Strahlenschutz oder Geologie gibt, um alle Rollen auszufüllen. Expertise sei dünn gesät. Zwar sei die BGE gut aufgestellt, „aber die Zivilgesellschaft, das Nationale Begleitgremium (NBG) und das BASE brauchen auch Gutachter:innen und sie wollen ja nicht dieselben anfragen, die bereits für die BGE arbeiten.“

Obwohl Technik und Wissenschaft sich ständig weiterentwickeln, hat Röhlig den Anspruch, beim Endlager immer den neuesten Stand anzuwenden. „Ich verstehe das Kalkar-Urteil so, dass der neueste Stand dann beachtet werden muss, wenn ansonsten Gefahr droht. Sprich, wenn die Wissenschaft herausfindet, dass Platinbehälter gut seien, dann muss das nicht zwingend berücksichtigt werden. Wenn die Wissenschaft jedoch herausfindet, dass nur Platinbehälter geeignet seien, radioaktives Material sicher zu verwahren, dann müssen diese verwendet werden.“

Wissenschaft könne dabei nur Ergebnisse liefern, keine Entscheidung fällen. „Das ist Aufgabe der Politik“. Auch müsse diese auf die Qualität des Verfahrens achten und eine Streitkultur ermöglichen. „Im politischen Raum gibt es mittlerweile immer weniger Kompetenz in Endlagerfragen, hier muss ein Wissenstransfer gewährleitet werden“, fordert Röhlig.

Wie wird die Sicherheit eines Atommüll-Endlagers bewertet?

Röhlig erklärt, dass in der Sicherheitsanalyse/-bewertung und Risikobewertung für Endlager nicht mit so genannten frequentistischen Wahrscheinlichkeiten operiert werde – also Wahrscheinlichkeiten, die anhand von Stichproben entstehen – sondern über subjektive Wahrscheinlichkeiten. Im Englischen ist die Rede von „degreeof belief“. Eine Wahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang bedeutet etwas anderes als das Risiko einen Autounfall zu haben: Für Verkehrsunfälle liegen Daten zur Häufigkeit vor, Risiko bedeutet letztlich z. B. welcher Anteil der Einwohner eines Landes in einem Jahr einen Unfall erleidet. Dagegen gibt es solche Daten für die Sicherheit eines Endlagers bzw. für das davon ausgehende Risiko nicht. In der Standortsuche gibt es am Ende nur ein einziges Endlager. Das Endlager wird sich nur auf eine einzige Weise verhalten, es soll keinen Unfall oder Schadensfall geben. „Es geht darum, für wie plausibel ich es halte, dass der Endlagerstandort sehr gut, gut oder schlecht ist. Das lege ich nicht willkürlich fest, sondern zeige nachvollziehbar auf, wie ich zu dieser Einschätzung komme“, so der Sicherheitsexperte. Unsicherheiten können Wissenschaftler:innen entweder durch weiterer Forschung begegnen, durch Vermeidung – sie können z.B. anderes Material verwenden – oder sie schwächen die Unsicherheit ab, indem etwa eine zweite technische Barriere gebaut wird anstatt nur einer.