Unbehagen in der Symbolpolitik

Kommentar

Mit dem vorgelegten Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rückführung könne man ordnen und steuern, erklärte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser dieser Tage und machte damit Schlagzeile im Sommerloch.

Mit der Rechtsverschärfung will die Ministerin nach eigener Aussage „ordnen, steuern und irreguläre Migration deutlich reduzieren“. Dazu gehöre eben auch, „dass diejenigen unser Land verlassen, die hier kein Bleiberecht haben“. Wenn aber der Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage verlängert, die Gründe für die Abschiebehaft ausgeweitet und Strafen bei unterlassenem Mitwirken im Asylverfahren erteilt werden, bedeutet das mehr Inhaftierung und weniger Rechte – aber noch lange keine effektiveren Abschiebungen. Und: Der Entwurf sieht die Möglichkeit zur Rückführung auch dann vor, wenn keine Straftaten begangen wurden, also sogenannter Clan-Mitglieder kollektiv abzuschieben (wie es in den Medien hieß), was in manchen Kreisen populär klingen dürfte, aber bislang nur im Bereich der Terrorismusbekämpfung rechtens war.

Politiker*innen treten gern als Ordnungshüter*innen auf. Das tat auch schon Horst Seehofer, der eigens ein „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ verfasste. „Nur wenn sichergestellt ist, dass vollziehbar Ausreisepflichtige unser Land tatsächlich verlassen, hat Deutschland die Ressourcen, denjenigen Menschen, die Schutz benötigen, zu unterstützen, insbesondere bei der Integration“, so Seehofer damals.

Das war 2019 und schon damals hatte das wenig mit der Rückführungs-Realität zu tun. 2018 standen 26.114 geglückte Abschiebungen rund 31.000 gescheiterten gegenüber, während 238.740 Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder deren Visum abgelaufen war, das Land hätten verlassen müssen. Von diesen waren mehr als die Hälfte geduldet. Sogenannte Duldungen sind nach Paragraf 60a des Ausländergesetzes aus ganz unterschiedlichen Gründen möglich. Es kann eine schwerwiegende Krankheit vorliegen, oder es soll eine Ausbildung beendet werden. Der häufigste Grund einer Duldung bestand und besteht jedoch immer noch in den meist fehlenden Reisedokumenten.

Durch die damalige Rechtsverschärfung änderte sich daher nichts an den niedrigen Rückführungszahlen. Praktisch blieb die Abschiebung äußerst schwierig, was Bund und Länder dazu bewegte, Programme in Gang zu setzen, um Migrant*innen zu beraten und materielle Anreize zu schaffen, damit Zugewanderte „freiwillig“ in ein Flugzeug steigen, das in Nigeria oder Pakistan landen würde. Doch auch hier lagen die Zahlen deutlich unter den Erwartungen der Bundesregierung und sprachen der Erfolgsrhetorik Hohn, die im innenpolitischen Raum um das Thema Rückkehr genutzt wurde. 2017 zählten die Programme gerade mal 29.589 und 2018 sogar nur 16.000 „Freiwillige“.

Die Integrationsleistung hingegen konnte, wie neuere Studien belegen, durchaus erbracht werden: Über die Hälfte der 2015/2016 nach Deutschland Geflüchteten, denen Schutz gewährt wurde, sind heute erwerbstätig.

Seitdem hat sich die Lage in Deutschland verändert: Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind mehr als eine Million Schutzsuchende nach Deutschland geflohen. Mit der eigens in Kraft gesetzten sogenannten EU-Massenzustroms-Richtlinie können Ukrainer*innen einen Aufenthaltstitel erhalten und müssen kein Asylverfahren durchlaufen.

Eine Million Menschen zu integrieren, ist erneut zu einer echten Herausforderung geworden, und die Kommunen haben zu Recht mehr Unterstützung vom Bund verlangt. Doch was seit der Bund-Länder-Konferenz, bei der es um eben diese Integrations-Aufgabe ging, angestoßen wurde, zielt mehr und mehr auf die Aushebelung des Asylrechts.

Immer wieder geht es um die „irreguläre Migration“ (und damit sind eben nicht die Grenzübertritte von der Ukraine über Polen nach Deutschland und andere europäische Staaten gemeint). Die „irreguläre Migration“ müsse schon an den Außengrenzen Europas gestoppt werden. Mit den Verschärfungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) stimmten die Innenminister der EU-Mitgliedstaaten Anfang Juni mehrheitlich zu, an den Außengrenzen Europas Inhaftierung einzusetzen und rechtskonforme Asylverfahren durch die Überprüfung zu ersetzen, ob nicht sogenannte sichere Drittstaaten außerhalb der EU Schutz bieten müssten. Mindern wird das die „irreguläre Migration“ kaum, sagen Expert*innen.

In Deutschland ging die CDU daran, die Debatte innenpolitisch weiter zu treiben: Erst wetterte CDU-Fraktionsvize Jens Spahn im Talk bei Markus Lanz, die Genfer Flüchtlingskonvention sei nicht mehr zeitgemäß, dann betonte Friedrich Merz (aka „Alternative für Deutschland mit Substanz“) „ohne wirksamen Grenzschutz, Druck auf die Herkunftsstaaten und eine echte Rückführungsoffensive schlittert Deutschland in eine neue Migrationskrise“ und schließlich schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, in einem Gastbeitrag der FAZ, das individuelle Recht auf Asyl solle einer EU-weiten Kontingentlösung weichen.

Der anvisierten Abschaffung des Asylrechts wohnt eine verstörende Geschichtsvergessenheit inne. Denn das 1949 geschaffene Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland hatte gerade angesichts der Verfolgung und Vertreibung und den millionenfachen Mord durch die Nationalsozialisten Asyl als Grundrecht verankert: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Im Nachkriegsdeutschland war nämlich die Erkenntnis gewachsen, dass mit einem solchen Recht auf Asyl viele Verfolgte der NS Zeit hätten gerettet werden können.

Der Diskussionsvorschlag der Bundesinnenministerin zu Rückführungen stößt also mitten in eine (eher im rechten Lager geführten) deutsche Debatte, welche die Genfer Flüchtlingskommission und das europaweit gültige individuelle Recht auf Asyl und demnach die Einzelfallprüfung infrage stellt. Das ist bedenklich!

Sollte die Gesetzesnovelle durchgehen, werden aber wiederum kaum mehr Menschen rückgeführt und vor allem nicht die irreguläre Migration reduziert, weil es ohne Rückübernahme durch die Herkunftsstaaten eben nicht funktioniert. 244.132 Menschen haben 2022 Asyl beantragt in Deutschland. Die Hälfte von ihnen kamen aus Syrien und Afghanistan mit einem Rekordhoch der Schutzquote von 70%, was bedeutet, dass eine große Mehrheit schutzberechtigt war. 12.945 Menschen wurden im selben Jahr abgeschoben.

Soll die Erhöhung von Abschiebezahlen die Wiederherstellung angeblich verloren gegangener staatlicher Souveränität garantieren? Die Lösungen realer Probleme liegen woanders und wir sollten die Diskussion zielführend gestalten und nicht Symbolpolitik betreiben, die letztlich rechten Diskursen den Ball zuspielt.

Gewiss, dem Recht auf Schutz bei einer Ablehnung des Asylantrags steht auch die Pflicht zur Ausreise gegenüber. Statt Härte nach außen zu zeigen, sollten wir aber auch die Bedarfe unserer Aufnahmegesellschaft und das bereits geschaffene Chancen-Aufnahmerecht fest im Blick behalten. 


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Dahin, wo der Pfeffer wächst

Die einseitige Ausrichtung auf eine Erhöhung der Zahl von Abschiebungen und „freiwilligen Rückkehrern“ in der deutschen Migrationspolitik, verstellt den Blick auf die Realität und mögliche Alternativen. Die Beiträge in diesem Band beleuchten die zahlreichen Probleme und Schwierigkeiten, mit denen Rückkehrer konfrontiert sind.
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Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de