Ladies Lunch on Tour 2019 | Sisterhood?! Über Begegnungen und Grenzen feministischen Aktivismus

Frauen teilen nicht nur ein zentrales, strukturelles Merkmal miteinander: Von Ungleichbehandlungen im Erwerbs- und Arbeitsleben bis hin zu sexualisierter Gewalt machen Frauen ähnliche Erfahrungen. Doch macht sie dies bereits zu Verbündeten im Geiste? Können wir im feministischen Aktivismus von sisterhood (Schwesternschaft) sprechen? Ist Schwesternschaft überhaupt erstrebenswert? Diese Veranstaltung behandelte jene Fragen in all ihren Facetten.

Nach der Eröffnung des Ladies Lunch on Tour 2019 durch Susanne Müller-Jantsch, Geschäftsführerin des Pavillons, und Anne Bonfert, Geschäftsführerin der Stiftung Leben& Umwelt, führte die Moderation bestehend aus Anna-Lena Oldehus und Abigail Fagan vom Englischen Seminar der Leibniz Universität Hannover durch den Nachmittag. Eingeleitet wurde der Begriff Schwesternschaft als ein Oberbegriff für die Gemeinschaft von Frauen. Sisterhood zeichne ein Narrativ, das ermächtigen soll aber auch ausschließen kann, da patriarchale Strukturen nicht von allen Frauen gleich erlebt werden. Vor der Vorstellung der Referentinnen erfolgte somit ein Appell der Moderation, sisterhood und feministischen Aktivismus nicht als Entweder-Oder zu begreifen.

Parmida Zareie, Masterstudentin der Advanced Anglophone Studies an der Leibniz Universität Hannover, zeigte dem Publikum von Frauen verschiedensten Alters ihr Verständnis von sisterhood in Form ihres Fotoprojekts „Sheshames“. Ihrer Auffassung nach bleiben Probleme Probleme, egal wen sie treffen, da sie beim Begriff Schwesternschaft sofort an ihre eigene Schwester denke und die Verbindung zwischen Menschen suche.

Anschließend begann die erste Talkrunde mit dem Impuls der Moderation, sisterhood habe immer mit der Vergangenheit zu tun. Nachdem lange Zeit feministischer Aktivismus ausschließlich Weiße Frauen adressierte,  würde er heute intersektionaler gedacht. Das bedeutet zum Beispiel, neben der strukturellen Kategorie „Frau“, die zu Diskriminierungserfahrungen führt, Rassismus mitzudenken.

Dazu ergriff Meriem Hammami, Studentin der Universität zu Köln und im Vorstand der Islamischen Hochschulvereinigung Köln, in der Talkrunde als Erste das Wort und bezeichnete sisterhood als ein Konzept, das für Muslime einfacher zu greifen sei als Feminismus. Sisterhood, die auch Schwesternschaft im Glaube bedeuten könne, impliziere Solidarität, Wertschätzung und Empathie. Es bezeichne ihrer Auffassung nach die Akzeptanz von Unterschieden und das Ermächtigen marginalisierter Frauen.

Amina Yousaf, Studentin der Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung in Göttingen und ehemaliges Mitglied im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppe, erklärte ihr Verständnis des Begriffs Schwesternschaft mit der Suche nach einem kollektiven Weg heraus aus patriarchalen Strukturen. Sisterhood habe dazu mit Vertrauen zu tun und der Eigendefinition von Menschen.

Prof. Dr. Paula-Irene Villa, Professorin der Soziologie/Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellte gleich zu Beginn klar, dass sie den Begriff für nicht relevant, creepy und übergriffig hält. Der begriff sisterhood wirke all  inclusive, indem er ein „Ich“ und feste Haltungen voraussetzt. Damit würde die Möglichkeit, noch „zu werden“ genommen, obwohl es nicht nur ein Fakt sei, nicht zu wissen, wer die andere ist, sondern auch ein Gewinn sein könne. Damit gab Prof. Villa einen überzeugenden Denkanstoß mit, alles im Wandel zu begreifen und die politische Auseinandersetzung als dynamisch aufzugreifen.

Janine Sachs, Leiterin der Selbsthilfegruppe Trans*parenz in Hannover und Mitglied im erweiterten Vorstand des Queeren Netzwerk Niedersachsen (QNN) stellte fest, den Begriff sisterhood nie wirklich benutzt zu haben. Er vermittle das Gefühl der Solidarität und gemeinsamer Ziele. Hierfür bräuchte es die Masse, die Solidarität intersektional denkt und gegen verschiedene Formen von Diskriminierung ankämpft.

Auf den zweiten Impuls der Moderation hin, ob Konflikte in Graben umkippen oder auch genossen werden könnten, gab Meriem Hammimi zu Bedenken, inwiefern Konflikte zur Meinungsbildung genutzt werden könnten. Reibung innerhalb der Familie täte dann gut. Amina Yousaf betonte die Möglichkeit zu einer Wahlfamilie in der sisterhood, während Janine Sachs immer dann Grabenkämpfe vermutet, wenn Menschen durch Fremddefinition etwas aberkannt wird. Prof. Villa betonte ein weiteres Mal, dass das Reden in Identitätskategorien nie helfe, da es ein Ende der politischen Auseinandersetzung bedeute. Meriem Hammimi beharrt auf die Notwendigkeit einer Eigendefinition, da sie erst den Erfahrungshorizont mitbringe.

In einer kurzweiligen Praxiseinheit zeigte uns Gianna Pargätzi vom Kunst- und Theaterprojekt CHICKS* ein Video ihrer Arbeit und stellte die diverse Gruppe vor. Sie präsentierte Bilder und ihre Performances voller Inhalte, bevor die Teilnehmenden in einer Life Statistik durch Aufstehen oder Sitzenbleiben sichtbar über ihre Sexualität, finanziellen Wohlstand, Arbeitsbedingungen, Care-Arbeit und weibliche Gesundheit reflektierten.

In einer zweiten Runde der Podiumsrunde warnte Prof. Villa davor, dass auch sisterhood nicht vor Populismus schütze. Meriem Hammimi hielt dagegen, sisterhood könne zu einer positiven Instrumentalisierung genutzt werden, was Prof. Paula-Irene Villa mit Verweis auf #metoo in Frage stellte. #metoo sei eine populistische, medial wirksame Art zum Schutz aller Menschen, von der sich dennoch einige Frauen distanzierten. Amina Yousaf, die sich viel mit Hate Speech, also Hassreden und Hasskommentaren, im Internet beschäftigte, empfand #metoo auch als eine ermächtigende Art für Frauen, ihre Geschichte zu erzählen. Janine Sachs hingegen versetzte das Reden über eigene Grenzüberschreitungen mit einem Fragezeichen.

Zum Ende hin plädierte Prof. Paula-Irene Villa für Debatten über Inhalte, Formen, Diskurse und Rhetoriken, da es eine zivilisatorische Errungenschaft sei, sich nicht auf der persönlichen Ebene auseinanderzusetzen. Dem stand Meriem Hammimi gegenüber, die stets offene Kommunikation und Interesse am gegenüber empfahl, um nachzuvollziehen, weshalb eine Person zu der geworden ist, die sie war.

Die Veranstaltung endete mit dem Ausblick auf die Prozesshaftigkeit von sisterhood und dem Appell, sich auf Komplexität der Fragestellungen rund um feministische Ansätze einzulassen.

Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Kulturzentrum Pavillon und der Leibniz Universität Hannover statt.

Mona Hosseini (Stiftungsrätin der Stiftung Leben & Umwelt)