“Wir müssen an die politischen Strukturen ran”

Interview

Welche Rolle spielen Männer in feministischen und queeren Bewegungen? Hat Männerpolitik dort einen eigenständigen Stellenwert? In Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das Gunda-Werner-Institut bislang zwei Workshops zum Thema “Männlichkeiten in linken Kontexten” angeboten. Die stark nachgefragten Veranstaltungen sollen fortgesetzt werden. Thomas Gesterkamp hat die Teamer Till Baumann, Tahir Della und Olaf Stuve zum Gespräch getroffen.

Eure Workshop-Reihe heißt “Wir sind am Zug”. Was ist damit gemeint?

Tahir Della: Ich komme aus der Antirassismus-Arbeit, und wie im Gender-Diskurs geht es dort viel um das eigene Rollenverständnis. Für mich steht der Titel dafür, in politischen Bewegungen, aber auch in privaten Kontexten Verantwortung zu übernehmen. Privilegierte Männer sollten selbst aktiv werden und nicht darauf warten, dass Betroffene sie auf etwas aufmerksam machen. In diesem Sinne: cis Männer sind am Zug, sich mit sexistischem Verhalten und sexistischen Rollenmustern zu beschäftigen.

 

Warum arbeitet ihr vier Tage lang in geschlechtshomogenen Gruppen?

Olaf Stuve: Es ist gar nicht so klar geschlechtshomogen cis männlich. Wir haben die Workshops zwar so ausgeschrieben, dass wir in erster Linie cis Männer adressiert haben. In der Praxis war es dann aber so, dass vor allem junge Männer mit der Bezeichnung cis männlich für sich persönlich Schwierigkeiten hatten. Sie fanden es unbehaglich, sich in einer derart homogen definierten Gruppe wiederzufinden. Sich selbst haben sie eher als queer oder nicht-binär identifiziert, dennoch waren die Themen für sie interessant. Nach unserem Eindruck gibt es, auch nach Jahrzehnten Männergruppen-Geschichte, für die Auseinandersetzung mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt immer noch zu wenig Räume. Deshalb dieses Angebot.

 

Wer kommt zu den Veranstaltungen? Was sind die Motive der Teilnehmenden?

Till Baumann: Die Workshops wurden schwerpunktmäßig in sozialen Bewegungen und aktivistischen Gruppen beworben. Die Leute kamen aus verschiedensten Regionen Deutschlands und sogar aus Österreich, und auch aus den unterschiedlichsten politischen Gruppen: Klimaschutz, Antirassismus, Antifa, politische Hausgemeinschaften und Projekte, künstlerische Aktivist:innen, zudem einzelne Personen aus politischen Parteien. 

Della: Gerade Schwarze Männer wollten wir gezielt ansprechen. Es interessierten sich auch einige, aber nicht so viele wie von uns gewünscht. Ich hatte das in meinen Verteilern zwar gut gestreut, es hat aber nur mäßig geklappt.

Stuve: Interessant finde ich die große Altersspanne der Teilnehmenden, die Bandbreite ging von 20 bis 60 Jahren. Darin sehe ich eine Qualität, denn bei klassischen Männerthemen fehlen oft die Jüngeren. Und noch ein weiterer Aspekt: Den meisten war sehr klar, dass persönliche und gesellschaftliche Veränderungen Hand in Hand gehen müssen. Nur individuelle Entwicklung hilft nicht weiter, wir müssen an die politischen Strukturen ran. Und umgekehrt nur über die Rahmenbedingungen zu reden ohne die Erfahrungen der einzelnen zu berücksichtigen ist auch zu wenig.

Baumann: In unseren Workshops wurde die Auseinandersetzung mit Männlichkeit damit auch zu einer zwischen den Generationen, und das passiert eher selten. Jüngere Teilnehmende können zum Beispiel mit einem Begriff wie “Männerpolitik” gar nicht viel anfangen, sie wollen sich aber sehr wohl mit dem Thema Männlichkeiten, im Plural, auseinander setzen. Wir haben versucht, die unterschiedlichen Perspektiven dialogisch zu besprechen, das war total interessant.

Della: Schon die Art der Ausschreibung des Themas war anders. Meine Organisation, die “Initiative Schwarze Menschen in Deutschland”, würde heute, 40 Jahre nach ihrer Gründung, ja vermutlich auch anders heißen. Genauso werden zentrale Begriffe in Genderdebatten wie “kritische Männlichkeit” je nach Altersgruppe sehr verschieden interpretiert. Die Haltungen sind zwar oft ähnlich, wie sich Männer damit befassen ist aber generationsspezifisch.

Stuve: Die Teilnehmenden an unseren Workshops haben meist eine intersektionale und rassismuskritische Ausrichtung. Sie positionieren sich eindeutig “links” von dem, was allgemein mit Männerpolitik assoziiert wird. Die Leute wollen an einer Perspektive auf der Grundlage sexueller und geschlechtlicher Vielfalt mitarbeiten, dabei aber auch Männlichkeit reflektieren. Genau das meinen wir mit dem Workshoptitel “Wir sind am Zug”: Wir sollten endlich auch an den Start kommen, wenn es um emanzipatorische Geschlechterpolitik geht.

“Mit dem Schwindel nicht alleine bleiben”

In pädagogischen Settings zu geschlechterpolitischen Fragen sind Männer oft schwer zu erreichen. Bei euch dagegen gab es Wartelisten. Was ist das Erfolgsrezept?

Baumann: Unsere Warteliste war beim ersten Mal fast dreimal so groß wie die mögliche Teilnehmerzahl. Über 50 Personen wollten mitmachen, maximal 18 pro Workshop konnten wir berücksichtigen. Es gibt bisher kaum Angebote in diese Richtung, wo ein gemeinsamer “linker” Grundkonsens vorhanden ist. Und die Bereitschaft zur Selbstreflexion kann auch nicht überall vorausgesetzt werden. Vielleicht hat das mit einer gewissen Verunsicherung zu tun, denn am Thema Männlichkeit kommst du heute in politischen Bewegungen eigentlich nicht mehr vorbei. Unser Kollege Andreas Hechler, der das Vorgängerformat “Im Zweifel für den Zweifel” gemeinsam mit Olaf und mir konzipiert hat, thematisiert in einem Text die Einsamkeit, die männlich sozialisierte Personen erleben können, wenn sie gegen Sexismus kämpfen. Die australische Geschlechterforscherin Raewyn Connell spricht von dem “Schwindel”, der entstehen kann, wenn man aus Männlichkeitsdynamiken aussteigen möchte. Mit diesem Schwindel nicht alleine zu bleiben, mag auch eine Motivation zur Teilnahme gewesen sein.

 

Was sind eure Methoden im Workshop? Vermutlich folgt nicht ein Powerpoint-Vortrag auf den anderen...

Stuve: Wir geben durchaus theoretische Inputs zu kritischen Männlichkeiten, weil wir uns selbst machtkritisch positionieren wollen. Wir fragen aber auch, wo greifen diese Theorien zu kurz, manche sind ja schon ein paar Jahrzehnte alt. Wir nutzen Pierre Bourdieus Begriff der “ernsten Spielen des Wettbewerbs” auf theaterpädagogischer Ebene. Eine Aufgabe lautet zum Beispiel: Welche “ernsten Spiele” kennt ihr aus eurer aktivistischen Praxis? Wir wollen nicht in erster Linie selbsterfahrungsmäßig auf eine einzelne Person bezogen reflektieren, sondern eher stereotype Männlichkeitsmuster in vorgefundenen oder sogar mitgetragenen Strukturen hinterfragen.

Della: Das erste Modul war noch stark geprägt von Theorie, aber auch da gab es schon einen Mix mit anderen Methoden wie dem “Bildertheater”. Und das wurde sehr gut aufgenommen.

Baumann: Wir nutzen kreative Formen, sind spielerisch in Bewegung. Kooperative Übungen ermöglichen den Kontakt untereinander und schaffen Vertrauen. Dabei verwenden wir auch Methoden aus dem “Theater der Unterdrückten”, das der Brasilianer Augusto Boal entwickelt hat. Das eben von Tahir erwähnte “Bildertheater” etwa bedeutet konkret, bestimmte Situationen mit dem Körper in eingefrorenen Standbildern darzustellen. Andere Teilnehmende können diese Bilder dann betrachten und reflektieren.

Stuve: Es gibt eine sehr gute Resonanz auf unsere Bewegungs- und Theaterangebote. Das wird für viele als Neuland und als interessante Erfahrung wahrgenommen. Die Kommunikation in der Gruppe verändert sich dadurch, es entsteht eine positive Grundstimmung.

 

Ist Männlichkeit per se “toxisch“?

Habt ihr Überraschungen erlebt, die von euren ursprünglichen Erwartungen abwichen?

Stuve: Interessant fand ich eine Kontroverse im ersten Workshop: darüber, ob “Scham” über eigene Dominanz- und Herrschaftspositionen als weißer Mann als Ausgangspunkt für emanzipatorische Lernprozesse dienen kann. Die einen haben das befürwortet, andere dagegen haben berichtet, aus einem sehr christlichen Elternhaus zu kommen und ungemein froh darüber zu sein, sich von Schamgefühlen emanzipiert zu haben.

Della: In der Vorplanung der Workshops hatten wir eine bestimmte Ausrichtung im Kopf. Wir wollten etwa People of Color und Leute aus sozialen Bewegungen gezielt ansprechen. Aber die Teilnehmer machen dann eben nach ihren Bedarfen was Abweichendes daraus - und das kann von unseren Vorstellungen abweichen. So war im zweiten Workshop ein Mann of Color dabei, dem wir besonderen Raum geben wollten. Aber daran war der gar nicht interessiert, der ist lieber in eine andere Debatte eingestiegen. Das fand ich gut, er wollte wohl einfach nicht immer mit dem Rassismus-Thema identifiziert werden.

Baumann: Mich hat überrascht, wie stark der Wunsch war, dass wir als Trainer den Prozess nicht nur begleiten und moderieren. Wir sollten unbedingt in die Arbeitsgruppen reingehen und dort mitdiskutieren. Überrascht waren sicher auch manche Teilnehmer aus parteipolitischen Kontexten, die eher so etwas wie eine Schulung erwartet haben, sich dann aber einem relativ offenen Reflexionsprozess ausgesetzt sahen.

 

Was haltet ihr von dem viel genutzten Begriff “toxische Männlichkeit”? Bildungsarbeit sollte man ja nicht mit Vorwürfen beginnen...

Della: Ich finde den Begriff super, weil er deutlich macht: Es geht immer auch um das persönliche Verhalten in Gruppen. Enthalten ist ja nicht nur ein Vorwurf, sondern auch eine Kritik an festgefahrenen Strukturen.

Stuve: Ich verwende das Wort “toxisch” nicht gerne. Ich nehme auch gar nicht wahr, dass es in queeren oder feministischen Kreisen so häufig auftaucht. Meiner Beobachtung nach handelt es sich um einen feuilletonistischen Begriff aus den Medien, der simpel unterscheidet zwischen einer guten und einer schlechten Männlichkeit. Im Kontrast dazu halte ich eher an den Kategorien von Raewyn Connell fest, gehe also von einem “System hegemonialer Männlichkeit” aus. Gemeint ist, dass immer eine Hierarchie hergestellt wird, zwischen den Geschlechtern, aber auch unter den Männern selbst. In diesen Strukturen werden die Muster eingeübt, mit denen sich dann alle in irgendeiner Form auseinander setzen müssen.

 

Was wollt ihr in künftigen Workshops besser machen?

Stuve: Es gab den Wunsch, das Format zu öffnen, sich weniger cis männlich zu orientieren und zum Beispiel mehr trans* Personen einzuladen. Dazu müssten wir aber unser Konzept umstellen, vielleicht auch unser Team erweitern. Für den letzten Workshop hatten sich auch trans* Männer beworben. Wir haben argumentiert: Wir wollen euch nicht ausschließen, aber macht euch klar, dass unser Angebot sich vorrangig an cis Männer richtet. Als Antwort kam durchaus Verständnis für diesen anderen Fokus. 

Della: Eine größere Diversität der Gruppe ist wünschenswert, bei der Adressierung sollten wir noch heterogener werden. Das erfordert jedoch auch andere Methoden im Workshop.

Stuve: Wir sollten erweiterte Formate entwickeln, schon um die Bündnisfähigkeit der vielfältigen Akteur:innen zu stärken. Doch erstmal drehen wir an kleinen Stellschrauben. Ausgangspunkt sollte das Thema “Männlichkeiten” und die kritische Auseinandersetzung damit bleiben.

 

Danke für das Gespräch.

 

Till Baumann

Till Baumann ist Trainer, Theatermacher und Coach/Supervisor.

Tahir Della

Tahir Della ist Aktivist bei der “Initiative Schwarze Menschen in Deutschland” und in der entwicklungspolitischen und antirassistischen Bildungsarbeit tätig.

Olaf Stuve

Olaf Stuve ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dissens - Institut für Bildung und Forschung sowie an der Universität Potsdam.